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AutorenbildJulia Schallberger

Kolumne Gedankenstrich: Schattenseiten

Aktualisiert: 10. Okt. 2023

Erschienen im Wochenblatt, am 21. September 2023

Bild zu Hitzeanstieg und zukunftsgerichteter Architektur
Schatten an der Wand © Bild von WIX.

Betonplatz statt Schattenbäume

Es ist sechsunddreissig Grad und ich warte in Liestal mit meinen schlafenden Kindern im Zwillingswagen auf den Bus. Ich schwitze und suche auf dem undenkbar heissen Hartplatz nach Schatten: Sollte ich mich im gelben Container aka Wartehäuschen kochen lassen oder kauerte ich mich lieber in den leicht beschatteten Velounterstand? Ich weiss, dieser Bushof ist nur ein Provisorium. 2025 soll der Umbau des Liestaler Bahnhofs beendet sein und der neue Bushof sicher mit Schatten aufwarten. Ich schaue mir die ausgehängten Baupläne an und zähle die visualisierten Bäume zwischen Betonmauern, Bahngleisen und Parkplätzen. Ehrlich gesagt hatte ich mir von einem zukunftsgerichteten Städtebau mehr grüne Schattensysteme erhofft.


Gedanken zu Hitzeanstieg und zukunftsgerichteter Architektur

Trotz Hitze nutze ich an dem besagten Tag meine Mittagspause und öffne - eingeklemmt zwischen Fahrrädern - meinen Laptop. Ich lese eine Werkbeschreibung für meine Arbeit im Museum. Es handelte sich um das Plexiglasobjekt "Höhensonne" (1971) vom Schweizer Künstler Max Matter. Ich blicke auf das Bild einer hinterleuchteten Glaskuppel an der Wand. Darin bestrahlt eine Lampe eine gesprayte Berglandschaft. Ich erinnere mich an die Skiferien meiner Kindheit und die sogenannten Frühlingsabfahrten: Wir liebten es, in der Märzsonne, ohne Jacke die matschigen, doch verfügbaren Talabfahrten hinunter zu kurven. Im Teenageralter genoss ich meine ersten Skitouren mit prächtigen Aufstiegen und Abfahrten im kniehohen Pulverschnee. Mag das Kunstwerk von Max Matter in den 1970er-Jahren vor allem Staunen und Wohlgefallen ausgelöst haben, so lassen uns Bilder besonnter Gletscherlandschaften heute vermehrt nachdenklich stimmen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass von den rund 1400 Gletschern in der Schweiz im Jahr 2100 zwischen 1100 bis 1200 verschwunden sein werden. Wärmer werdende Bergwinter, sowie zunehmende Hitzerekorde im Sommer lassen sich nicht mehr ausblenden. Wir müssen uns dem Klimawandel anpassen, unser Verhalten ändern und unsere Lebensräume umgestalten.


Ein Spielplatz unter Bäumen - Nuglar-St. Pantaleon macht vor, wie es geht

In Gedanken versunken besteige ich den klimatisierten Bus Richtung Nuglar. Auf dem Hügel angekommen, empfinde ich es bereits kühler als in der Stadt. Wenn ich in die Zukunft blicke, so bin ich dankbar, auf dem Land zu wohnen – umgeben von schattenspendenden Bäumen. Nächstes Jahr wird in St. Pantaleon ein neuer Spielplatz gebaut. Er soll naturnah gestaltet sein und sich "nahezu unsichtbar in die umliegende Landschaft" einfügen. Beim Studieren der öffentlichen Pläne atme ich auf: Es soll Sonnensegel geben, vor allem aber bioklimatischen Sonnenschutz in Form von Bäumen und Büschen wie Feldahorn, Kirsche, Birne, Apfel, Walnuss, Felsenbirne oder Haselnuss. Hochstammbäume greifen das Gepräge der hiesigen Landschaft auf. "Endlich Schatten!", denke ich. Wie oft habe ich auf den besten Spielplätzen Schatten vermisst, obwohl es gerade da um den Schutz unserer Kinder und unserer Nachwelt geht.


Zuhause schiebe ich den Kinderwagen unter das Glyziniendach. Ich bin mir klar: die Zeiten haben sich geändert. Für "the sunny side of life" wird es künftig weniger Steingärten, Goldküsten, Sonnenstrände und Skipisten brauchen, während der Sprung auf die "Schattenseite" plötzlich ganz verheissungsvoll klingt.


Julia Schallberger, September 2023

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