Kolumne Gedankenstrich - Liebeserklärung an das Nichts
- Julia Schallberger
- 11. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Juli
Erschienen im Wochenblatt am 10. Juli 2025

Lange habe ich für diese Kolumne nach einem passenden Titel gesucht und bin beim „Nichts“ gelandet. Der Text ist eine Liebeserklärung an das kleine Bisschen, an das, was da ist, bevor es überhaupt beabsichtigt, etwas zu sein. Die Rede ist von der winzigen Geste, dem unschuldigen Moment, in dem still das Potential für Grosses liegt.
Die Schönheit des Nichts wurde mir im Rahmen eines Clownkurses in St. Pantaleon von Neuem bewusst. Neugierig, aber mit einigem Respekt, besuchte ich die erste Stunde. Ich wusste nicht genau, was ich erwartete, doch wohl eher viel als wenig: viel Mimik, viel Ton, viel Bewegung, viel Verkleidung. Und die Vorstellung, dass man als Clown vor allem lustig zu sein habe. Doch mit alledem lag ich ziemlich falsch.
Die rote Nase blieb unsere einzige Verkleidung. Wir sollten sie uns in bewusster Stille, vom Publikum abgewandt, überstülpen. Nach ein paar Übungen, die uns den Einstieg erleichtern sollten, hiess es plötzlich: „Stellt euch vor: Das Zirkuszelt ist rappelvoll, doch der berühmte Clown fällt aus. Der Zirkusdirektor ist verzweifelt und bittet euch inständig, einzuspringen. Ihr erwidert, dass ihr doch gar nichts könnt – und er sagt: Das reicht völlig. Ihr tretet also auf die Bühne, steht da, atmet ein, atmet aus und geht wieder. Lediglich ein Funke von Freude huscht über euer Gesicht.“

Was dann geschah, faszinierte mich. Jede*r trat vor die Gruppe und – machte nichts, war einfach nur da, mit einem Funken Freude auf dem Gesicht. Der Raum war plötzlich erfüllt mit Lachen, Wärme, Empathie. Während wir uns zuvor bemüht hatten, lustig und interessant zu sein, waren wir es nun wirklich. Was war passiert? Indem wir aufgefordert wurden, Stille auszuhalten, die Pausen nicht zu füllen, sondern stehen zu lassen, die Blicke ruhig zu erwidern, anstatt sie zu beantworten oder zu meiden, kamen unsere persönlichen Eigenheiten zum Vorschein. In einer hochgezogenen Braue spiegelte sich Schalk, in einer vorgeschobenen Hüfte lässige Coolness, in einer vorgestreckten Stirn gutmütige Neugier. Hatte man diese Eigenarten und Unzulänglichkeiten erkannt, musste man sie nur ein wenig überzeichnen – und der innere Clown, das beste Selbst, war plötzlich da.
Man machte sich verletzlich, liess Kontrolle los und wurde nahbar. Was Mies van der Rohe einst für die Architektur sagte – „weniger ist mehr“ – erschien mir plötzlich nicht mehr als abgedroschene Floskel, sondern als Zauberformel.
Im Alltag glauben wir oft, performen, präsent sein und einen Plan haben zu müssen. Halten wir aber ein bisschen mehr Nichts aus, ein bisschen mehr reines Sein, geben wir auch dem Gegenüber Raum. Es entsteht Platz für echte Begegnung, für Spontaneität, Improvisation und Kreativität. Für all das, was wir jetzt und in Zukunft als Gesellschaft brauchen. Probiert es aus. Wartet ab und freut euch über das, was schon immer da war – und über das, was daraus noch entstehen kann.
Wer Lust auf einen Clownkurs bei Regula Inauen und Leo Steck hat, schaue hier vorbei: www.padrole.ch
Julia Schallberger, Juli 2025
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