Dufterinnerung
- Julia Schallberger

- vor 4 Tagen
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Erschienen im Wochenblatt am 13. November 2025

© Museum Kloster Muri, Foto: Julia Schallberger
Bestimmt kennen Sie den Moment, in dem Sie sich durch einen bestimmten Duft augenblicklich in eine Situation oder Stimmung (zurück)versetzt fühlen. Düfte vermögen Gefühle und Bilder zu wecken, noch bevor der Geruch bewusst erfasst worden ist. Anders als beim Sehen oder Hören wird die Botschaft nicht erst über das Grosshirn geleitet, sondern gelangt direkt ins limbische System – jene Hirnregion, die Emotionen und Erinnerungen formt.
Ob beim Spazieren oder beim Yoga, wenn ich eine Kerze anzünde, oder beim Aufgiessen von frischen Teekräutern – die Verbindung zwischen Düften und Stimmung, interessiert mich schon lange uns nutze ich zuweilen gezielt. Im Hinblick auf eine Ausstellung, die ich im Kloster Museum Muri zum Thema «Weihnachtliche Düfte – Eine (be)sinnliche Spurensuche» zusammen mit Elena Eichenberger kuratiere, habe ich mich vertieft mit der Nostalgie von Düften beschäftigt. Dabei wurde mir vieles klarer.
Düfte und Emotionen
Viele unserer Dufterinnerungen stammen aus der Kindheit. Der Geruchssinn ist zwischen dem dritten und zwölften Lebensjahr besonders geschärft: Kinder verfügen über mehr aktive Riechzellen, und die neuronalen Verbindungen zwischen Geruch, Gefühl und Erinnerung sind ausgeprägter, weil das junge Gehirn darauf ausgerichtet ist, Neues zu verankern. So geschieht es mir häufig, dass mich bestimmte Raumdüfte, Parfüms oder Essensgerüche an Menschen oder Orte meiner Kindheit erinnern. Da ist etwa der unverwechselbare Duft des frisch gereinigten Treppenhauses im Wohnblock meiner Grosseltern. Rieche ich ihn heute, geht es nicht nur um das Wiedererkennen des Putzmittels, sondern um eine Welle von Gefühlen: Vorfreude, Aufregung, Geborgenheit erfassen mich körperlich unmittelbar, als wäre ich wieder das Mädchen, das die Treppe zu den Grosseltern hochrennt.
Dufterinnerung oder Madeleine-Effekt
Ähnlich ist es mit den Düften der Jahreszeiten. Während ich den Herbstgeruch von Blättern und feuchter Erde aufsauge, denke ich an Familienferien in den Bergen und ans Pilzsuchen im Wald. Wenn ich abends das Holz fürs Einfeuern hole und die kalte Nachtluft einatme, eilen meine Gedanken voraus in die festliche Weihnachtszeit. Ich bilde mir dann ein, bereits den Schnee riechen zu können. Lege ich das Holz ins Feuer oder streue Zimtpulver über mein Porridge, wähne ich mich in der weihnachtlichen Stube – umhüllt vom Nadel- und Kerzenduft des Tannenbaums und der würzigen Süsse frisch gebackener Zimtsterne.
Erinnerungen über Düfte nicht nur zu speichern, sondern jederzeit wieder aufleben zu lassen, ist ein sinnliches Privileg, das ich nicht missen möchte. Marcel Proust hat diesem Phänomen ein literarisches Denkmal gesetzt: In «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» ruft der Geschmack einer in Tee getauchten Madeleine beim Erzähler eine ganze Kindheitswelt hervor. Seither nennt man diesen Moment des plötzlichen Wiedererlebens den «Proust»- oder «Madeleine-Effekt». In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen Winter voller wärmender Proust-Effekte.
22.11.2025 - 4.1.2026 Vernissage «Weihnachtliche Düfte – Eine (be)sinnliche Spurensuche» im Kloster Museum Muri.
Mehr Infos zur Ausstellung gibt es hier.
Julia Schallberger, November 2025



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