Erschienen im Wochenblatt, am 25. Mai 2023
Wer kennt sie nicht, die Frage nach der richtigen Balance? Was brauche ich, um im Lot zu sein? Und bezogen auf meine Verantwortung gegenüber der Welt: wie trage ich nach bestem Gewissen zu einem ökologischen und sozialen Gleichgewicht bei? Wie gehe ich mit meinen persönlichen und den Ressourcen unserer Erde um, von denen ich unweigerlich zehre? Diesen Fragen spürte ich an einem ungewöhnlichen Ort nach: in einer blühenden Magerwiese zwischen Nuglar und St. Pantaleon, im Bienenhaus von Andy Erb. Vor zwei Jahren habe ihn dieses Häuschen förmlich gefunden. Er habe sich entschieden, die Imkertradition, wie man sie seit Generationen in diesem sogenannten "Schweizerkasten" pflegte, nun auch an diesem Ort weiterzuführen.
Überrascht höre ich, dass ihn direkte Tätigkeiten an den Bienen zeitlich wenig beanspruchten. Schliesslich kämen Bienen seit 40 Mio. Jahren ohne Menschen aus, – meint er schmunzelnd – während es die Imkerei laut Belegen aus dem alten Ägypten gerade mal seit 4'500 Jahren gäbe. Trotzdem schaue er fast jeden Tag im Bienenhaus vorbei. Nebst der Tatsache, dass er sich an dem Ort gut entspannen könne, würde er von seinen acht Bienenvölkern so einiges lernen – für sich selbst, aber auch für seine Tätigkeit als Organisationsentwickler. Zum Beispiel, sich in Geduld zu üben, anpassungsfähig zu sein und die Idee, alles kontrollieren zu können, loszulassen. Ein Bienenjahr ist den Zyklen der Natur unterworfen und gliedert sich in die Phase der Winterruhe, des Aufbaus, der aktiven Sommerzeit und des anschliessenden Vorbereitens auf die Winterruhe.
Darüber hinaus erweist sich die Biene auch in überraschenden Situationen als flexible Teamplayerin. Wird ein Bienenvolk durch Wetterextreme oder Krankheiten oder aus seinem Rhythmus gebracht, zeigt sie - für das Überleben des Kollektivs – eine überraschende Eigenschaft: Wenngleich jede Biene in ihrem Leben eine feste Reihenfolge von Tätigkeitsfeldern durchläuft – von der Reinigungsbiene bis zur Sammlerin – so schlüpft sie in Notsituationen ohne Murren in jede zuvor ausgeführte Rolle. Eine Fähigkeit, die vielen von uns schwerfällt – setzen wir etwa einen Stellenwechsel in ein Gebiet einer "tieferen Wertigkeit" doch meist mit einer Degradierung gleich. Stattdessen könnten wir darin auch eine teamorientierte, lehrreiche, ressourcenschonende und daher nachhaltige Arbeitsform sehen. Die Bienen machen es schliesslich vor: Es geht auch ohne Status und starre Hierarchien.
Was können wir von Bienen lernen in Bezug auf Balance?
Als Imkerin oder Imker die Balance zwischen den Interessen der Bienen und den Interessen des Menschen zu wahren, hängt von der Beobachtungsgabe und der inneren Überzeugung ab: In einem harten Bienenjahr auf eine Honigentnahme zu verzichten, gehört dazu. Oder den Umgang mit der Möglichkeit, die Bienen zum Sammeln von mehr Nektar anzuregen – indem man ihren «Wohnraum» künstlich erweitert. Abhängig von der Vegetationsentwicklung tut man dies, früh, spät oder gar nicht. Auch dies lässt sich auf andere, menschliche, Arbeitsgebiete übertragen: Kann Druckerzeugung die Motivation der Mitarbeitenden positiv beeinflussen? Ab wann führen überhöhte Erwartungen zu ungesunden Entwicklungen und zu einem in die "Beschleunigungsfalle"-Tappen?
Häufiger innehalten, statt zeitgleich verschiedenen Projekten und Idealen nachzueilen. Mehr loslassen, um den Weitblick und die Balance zurückzugewinnen – das nehme ich mir vor, als ich Andy Erbs philosophisches Bienenstübchen hinter mir lasse.
Übrigens: wer sich für Andy Erb und seine Bienen oder seine Philosophie als Organisationsentwickler interessiert, der schaue gerne auf seiner Webseite vorbei. Besonders lesenswert sind seine Gedanken zu einem typischen Bienenjahr und den Parallelen zwischen Bienenvölkern und Organisationen.
Julia Schallberger, Mai 2023
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